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Beschleunigung und Divergenz in den Schwellenländern im Zuge von COVID-19

06 Mai 2020

Videolänge 8:15

Portfoliomanager David Semple erläutert seine Ansichten dazu, wie sich die COVID-19-Pandemie auf das Investieren in den Schwellenländern auswirkt. Er hebt Unternehmen und Sektoren hervor, die im aktuellen Umfeld gut positioniert sind, sowie solche, die mit neuen Herausforderungen konfrontiert sind.

Jenna Dagenhart: Hallo und herzlich willkommen bei Asset TV. Heute Nachmittag ist David Semple bei uns. Er ist Portfoliomanager für die Emerging Markets Equity Strategies bei VanEck. David Semple und sein Team glauben, dass das Wachstumspotenzial in den Schwellenländern über einen längeren Zeithorizont betrachtet werden sollte, der über das Coronavirus und andere Schlagzeilen hinausgeht. Heute besprechen wir Schwellenländer-Aktien und die Auswirkungen von COVID-19, Schlaglichter der Strategie sowie Investitionsmöglichkeiten in den Schwellenländern. David Semple, vielen Dank, dass Sie bei uns sind.


David Semple: Vielen Dank für Ihre Einladung.


Jenna Dagenhart: Wir freuen uns über Ihren Besuch. Also, Herr Semple, wie hat sich die COVID-19-Pandemie auf das Investieren in den Schwellenländern ausgewirkt?


David Semple: Ich glaube, in den Schwellenländern sind viele Änderungen zu beobachten. Aber ich möchte den Schwerpunkt auf zwei unterschiedliche Dinge legen und hier zwei Wörter besonders hervorheben. Diese beiden Wörter sind „Beschleunigung“ und „Divergenz“. Die Beschleunigung ist aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive wichtig. Länder, die bei Beginn der Krise bereits Probleme hatten, sehen nun, dass diese Probleme sich beschleunigen und verschlimmern. Das ist beispielsweise für Länder wie Brasilien oder Südafrika von einer besonderen Bedeutung. Das ist aus volkwirtschaftlicher Sicht meiner Meinung nach also ein wichtiger Aspekt.


Mit Blick auf das Thema „Beschleunigung“ dürften die Unterschiede zwischen den einzelnen Sektoren sogar noch interessanter sein. Zurzeit arbeiten wir nämlich alle von zuhause, habe ich recht? So lässt sich also beobachten, was hinsichtlich der Beschleunigung beispielsweise in den Bereichen Telekommunikation oder Nutzung von Rechenzentren passiert. Für uns geht es indes in erster Linie um E-Commerce und bestimmte Bereiche dieses Sektors. Zum Beispiel sind bargeldlose Gesellschaften ein Thema. Aber auch Dinge wie chinesische Pharmaunternehmen spielen eine Rolle.


Während Impfstoffe entwickelt werden, wird die Menschheit weltweit – leider, muss man sagen – nationalistischer. Überall wird an der Entwicklung eines Impfstoffes gearbeitet, doch mit Sicherheit erhält der chinesische Pharmasektor hierdurch Auftrieb. Dieser war bereits vorher für uns von besonderem Interesse, einschließlich der Sparte Telemedizin. Ich habe sogar selbst am Montag einen Videotermin bei meinem Arzt. Eines unserer Unternehmen, die wir in China besitzen, ist einer der weltweit größten Anbieter von Telemedizin.


Sie sehen also eine Beschleunigung dieser Trends, die bereits begonnen haben: online einkaufen und so weiter. Aber es gibt auch eine Divergenz, und zwar hinsichtlich der Art und Weise, wie einzelne Länder mit dieser Krise umgehen. China war offensichtlich als erstes Land betroffen und hat als erstes die Krise überwunden, dabei wurden Kontrollen und Überwachung verstärkt. Möglicherweise sind wir mit dieser Philosophie nicht einverstanden, aber die Methoden waren sehr effektiv und das lässt sich kaum leugnen. Auf der anderen Seite haben die ärmeren Schwellenländer bei ihrem Umgang mit der Krise leider eine sehr „Hobbes'sche Wahl“, ob die Menschen Hunger leiden, oder ob ein Lockdown umgesetzt wird, oder ob die Ausbreitung des Virus zugelassen wird.


Für viele dieser Länder ist es ein enormer Vorteil, dass ihre Bevölkerung im Altersdurchschnitt sehr jung ist. Daher wird die Sterblichkeitsrate glücklicherweise niedriger sein. Aber auch zwischen den einzelnen Sektoren gibt es große Divergenzen. Wir sind bereits seit Langem sehr aktive Anteilseigner im Gesundheitswesen. In diesem Sektor kämpfen Krankenhäuser zwar mit einigen Probleme, das liegt aber daran, dass momentan weniger optionale Eingriffe vorgenommen werden. Und ein medizinischer Tourismus ist aufgrund der geschlossenen Grenzen ebenfalls nicht durchführbar. Andererseits entwickelt sich der Pharmasektor wie bereits erwähnt gut, und auch der Bereich Telemedizin befindet sich in einer guten Verfassung. Das Gleiche gilt für den Konsum. Wenn man zwischen sozialem Konsum und Fernkonsum unterscheidet, beschreibt sozialer Konsum die Situation, bei der Konsum nur bei anderen Menschen möglich ist, beispielsweise in Restaurants, Hotels, Reisen, Tourismus, Kasinos und in ähnlichen Bereichen. Diese Segmente werden sicherlich eine Weile brauchen, um sich zu erholen. Auf der anderen Seite betrifft der Fernkonsum Dinge wie E-Commerce, Videospiele, Telemedizin – darüber haben wir bereits gesprochen –, und all diese Bereiche profitieren eindeutig von der aktuellen Lage.


Jenna Dagenhart: Hieran anschließend, können Sie uns noch ein paar Beispiele für Unternehmen oder Branchen geben, die vom aktuellen Marktumfeld profitieren oder darunter leiden?


David Semple: Das tue ich natürlich gerne. Wir denken und reden die ganze Zeit darüber, daher kann ich Ihnen wirklich viele, viele Beispiele nennen. Die Telemedizin habe ich bereits erwähnt. Wir halten eine Position in einem Unternehmen mit dem Namen Ping An Good Doctor, das in Hongkong notiert ist. Ich glaube, das ist nach Kundenbasis einer der weltweit größten Anbieter von Telemedizin. In China geht man normalerweise ins Krankenhaus, um einen Arzt aufzusuchen, weil es keine Hausärzte gibt. Schon vor dieser Zeit war es nicht unbedingt ein angenehmes Erlebnis, weil die Wartezeiten lang und viele dieser Krankenhäuser nicht im besten Zustand waren. Wenn man stattdessen für Routineangelegenheiten einen medizinischen Dienstleister per Videoanruf über sein Mobiltelefon aufsuchen könnte, ist diese Variante klar vorzuziehen. Und die Regierung ist sich dessen eindeutig bewusst. Gleichzeitig sind die Kosten der medizinischen Pflege künftig anzusprechen. Weil die Ärzte in diesem Umfeld viel mehr Patienten betreuen können, pro Tag mehr Konsultationen durchführen und viel kosteneffizienter arbeiten können, hat dieses System eindeutig bereits Rückenwind, was durch das aktuelle Umfeld nur weiter beschleunigt wurde.


Jenna Dagenhart: Lassen Sie mich abschließend noch fragen: Wie sehen sie die Entwicklung dieser Anlageklasse auf längere Sicht und welche spezielle Rolle dürfte China dabei spielen?


David Semple: Nun, das ist eine interessante Frage. Schon seit einiger Zeit vertrete ich die Meinung, dass die Geschlossenheit der Schwellenländer künftig weniger stark ausgeprägt sein wird. Anders gesagt: Es handelt sich um eine Wundertüte von Ländern, die an vielen unterschiedlichen Orten der Welt angesiedelt sind. Und was sich nun als Folge der aktuellen Situation abspielt, ist eine Beschleunigung des Nationalismus sowie eine Beschleunigung der Missbilligung Chinas, vor allem in den USA. Mit Blick auf die Zukunft sehen wir eine zunehmende Balkanisierung des Kapitals. Das ist besonders der technologischen Gabelung geschuldet, die sich zunehmend abzeichnet. US-Unternehmen weigern sich, mit chinesischen Unternehmen zusammenzuarbeiten, und Unternehmen aus China machen keine Geschäfte mit ihren US-Pendants. So entwickeln sich beide Seiten jeweils für sich. Von diesem sogenannten „Splinternet“ wird künftig noch mehr zu sehen sein.


Ich glaube, dass wird eine schädliche Entwicklung sein, besonders für die kleineren, ärmeren Länder mit einer schwächeren Bildung. Diese Länder waren davon abhängig, dank ihrer billigen Arbeit in der Wertschöpfungskette nach oben zu wandern. Das wird künftig eine geringere Bedeutung haben. Stattdessen wird die Produktion häufig ins Ursprungsland zurückverlagert werden („Reshoring“). Davon profitieren tendenziell die größeren Länder, die als kontinentale Volkswirtschaften bezeichnet werden und die über einen Bildungsvorsprung verfügen. Um China wird man in diesem Zusammenhang kaum herumkommen und China verfügt in dieser Hinsicht über viele dieser Eigenschaften. Ob es einem gefällt oder nicht, wie die chinesische Wirtschaft und Gesellschaft gesteuert werden, das Reich der Mitte nimmt in der Landschaft der Schwellenländer einen immer größeren Raum ein. China macht bereits knapp 40 Prozent unserer Benchmark aus. Und dieser Wert kann meiner Meinung nach nur wachsen.


Jenna Dagenhart: David Semple, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Einsichten. Es war wirklich toll, dass Sie heute zu uns kommen konnten.


David Semple: Herzlichen Dank.


Jenna Dagenhart: Und vielen Dank fürs Zuschauen. Das war David Semple, Portfoliomanager für die Emerging Markets Equity Strategies bei VanEck. Um regelmäßig Einsichten der Experten von VanEck zu erhalten, können Sie uns unter vaneck.com/subscribe abonnieren. Ich bin Jenna Dagenhart von Asset TV.