IMF-Frühjahrstagung 2021: Das Glas ist ganz voll
04 Mai 2021
Vor Kurzem nahmen wir (virtuell) an der Frühjahrstagung 2021 des IMF teil, wo wir uns mit Vertretern von Finanzministerien, Zentralbanken, internationalen Finanzinstituten wie dem IMF und unabhängigen Volkswirten und Experten über Themen wie die Politik und die öffentliche Gesundheit austauschten. Mittlerweile werden die Wachstumsprognosen angehoben, die Zinssätze steigen leicht an, das Finanzumfeld ist akkommodierend und die Geld- und Fiskalpolitik bleibt unterstützend. Aber irgendwie ist das Glas ganz leer, und diese Konstellation ist sehr schlecht für die Schwellenländer. Dies war der Hauptpunkt der Tagung. Die Teilnehmer waren gegenüber Schwellenländer-Aktien und -Anleihen ausnahmslos pessimistisch eingestellt. In Bezug auf die USA herrschte dafür eine ganz positive Stimmung vor, insbesondere gegenüber Aktien. Und was ist die große vorherrschende Sorge? Steigende Renditen. Das war's auch schon. … Das große Risiko ist also eine Entwicklung, die bereits in vollem Gange ist und vielleicht sogar derzeit in einem Wartemodus verharrt. Dies scheint uns ein sehr günstiges Umfeld für Schwellenländer-Anleihen zu sein. Nachstehend werden die Einzelheiten aufgeführt.
Globales Wachstum in Hülle und Fülle – die Prognosen wurden angehoben, weitere Korrekturen nach oben sind wahrscheinlich und dieses Umfeld könnte länger andauern.
- Der IMF (Internationaler Währungsfonds) hat seine globale Wachstumsprognose für 2021 von 5,2% auf 6% angehoben. Er korrigierte außerdem das BIP 2020 auf -3,3% nach oben (1,1% höher als seine Prognose vor nur sechs Monaten!). Der IMF nennt dieses Wachstum „asynchron“, für uns sieht das jedoch nach einer gestaffelten Entwicklung aus. China erholte sich 2020, die USA verzeichnen 2021 eine Erholung und Europa und der Rest der Welt dürften sich mit voranschreitenden Impfkampagnen in den Folgejahren erholen. Das Wachstum in den USA scheint dauerhaft zu sein und lässt den Nachzüglern viel Zeit. China hat im letzten Jahr wieder das Produktionsniveau erreicht, das vor der Pandemie vorherrschte, die USA werden in diesem Jahr das Niveau vor COVID-19 übertreffen und der Rest der Welt wird nachziehen, wenn auch langsamer und mit „Impfstoff gegen das Virus“ als großer Treiber.
- Wir können erkennen, dass der Stab in dem globalen Staffelrennen um Wachstum von China an die USA weitergereicht wird, was weit über das Jahr 2021 hinaus andauern könnte. Unseres Erachtens ist es wichtig, das globale Wachstum als gestaffelt zu betrachten, wohingegen bei unserer Tagung viel über ein „asynchrones“ Wachstum geklagt wurde. Anstatt die Wachstumserholung in den USA und weltweit als generell positiv zu bewerten und dann nach Ländern zu suchen, wo das stärkste Wachstum zu verzeichnen ist (abgesehen von anderen Variablen), konzentrierte man sich (unserer Meinung nach allzu sehr) auf das Potenzial eines vergleichsweise höheren Wachstums in den USA. Irgendwie wurde es als negativ bewertet, dass das Wachstum in den USA stärker anstieg als in den meisten anderen Ländern. Wir sind der Ansicht, dass das US-Wachstum im Großen und Ganzen die Fundamentaldaten stützt, und wenn es Divergenzen gibt, sollte man diese auf Länderbasis angehen und nicht auf ein „USA gut/Rest der Welt schlecht“-Schema zurückgreifen. Wie dem auch sei: Wir sehen eine Welt, in der der Stab in dem Staffelrennen um das Wachstum 2021 an die USA weitergereicht wird und anschließend 2022 auf die derzeitigen Nachzügler in Sachen Pandemieerholung übergehen wird. Unserer Meinung nach ist das aber als positiv und nicht als negativ zu bewerten.
Die US-Wirtschaft hat derzeit den Stab im Staffelrennen um das Wachstum in der Hand, übertrifft momentan die meisten Prognosen und könnte weiterhin stark bleiben.
- Die Kombination aus überschüssigen Ersparnissen, aufgestauter Nachfrage und einem Impfstoff verschafft den USA einen potenziellen Wirtschaftsboom. Der große Unterschied zwischen der aktuellen Lage und der globalen Finanzkrise ist, dass die Bilanzen von Verbrauchern und Unternehmen derzeit in einer – wie wir meinen – hervorragenden Verfassung sind. Das Virus selbst und die Reaktion der Politik (d. h. Lockdowns oder nicht) bleiben die Hauptrisiken für das Wachstum. Aber sie schwinden mit der Einführung von Impfstoffen und der geringeren Bereitschaft, Lockdowns zu verhängen. Und schließlich wurde Wachstum als einzige Lösung für die steigende Verschuldung angesehen, während jede Inflation als von der Fed vorläufig zu ignorieren erachtet wurde.
- Wir sind der Meinung, dass die Marktteilnehmer das Ausmaß und die Dauerhaftigkeit des kommenden US-Wirtschaftsbooms unterschätzen, insbesondere die singuläre Ausrichtung der Biden-Administration auf Wachstum um jeden Preis. Alle sangen das gleiche Lied von der Wachstumsführerschaft der USA im Jahr 2021, aber es klang nicht so fortissimo, wie es durchaus verdient gewesen wäre. Defizite, das Virus, höhere Zinsen, die Fed oder das Fehlen eines Infrastrukturgesetzes wurden allesamt als Risiken für die weitere Wachstumsdynamik angeführt. An anderer Stelle verweisen wir auf den singulären Fokus der Biden-Administration auf Wachstum, was unseres Erachtens von den Märkten ebenfalls nicht vollständig gewürdigt wird. Eine vorzeitige Erhöhung der Zinsen durch die Fed wurde häufig als Risiko genannt. Wir sehen dafür jedoch keine Anzeichen. Die Inflation war das ernsthaftere der genannten Risiken, und dieses Thema ist wichtig genug, um ihm einen eigenen Abschnitt zu widmen.
Die Inflation und die Fed sind das derzeitige Tagesthema – jeder geht von einer Inflation aus, also lautete die Hauptfrage, wie die Fed darauf reagieren wird.
- Der tatsächliche Verlauf der Inflation wird sich nicht zeitnah feststellen lassen, so dass es auf anekdotische uns gegenseitig mitgeteilte Hinweise ankommt und auf die bereits eingepreisten Erwartungen. Die gemessene US-Inflation steigt derzeit, und dieser Anstieg wird aufgrund von Basiseffekten in den kommenden Monaten besonders stark sein. Abgesehen davon wissen wir nicht viel. Selbst in historischer Hinsicht lassen sich die Produktionslücke oder die Produktivität kaum quantifizieren, geschweige denn in Echtzeit. Anekdoten in den Medien werden diese Entwicklung größtenteils bestimmen, wie auch immer sich die Inflation tatsächlich verhalten wird. Der Arbeitsmarkt wird in diesem Umfeld angespannt bleiben, es wird zu Angebotsengpässen kommen und die Nachfrage wird steigen. Die wichtigsten ausgleichenden Faktoren sind, dass vieles davon bereits an den Märkten eingepreist ist und die Fed wiederholt kommuniziert hat, dass sie über jede kurzfristige Inflation hinwegschauen wird.
- Die These „Inflation ist vergänglich“ stützt sich auf folgende Punkte: Technologie. Offensichtlich und gut dokumentiert ist, dass die Covid-Krise allem Anschein nach langfristige Trends beschleunigt und die Produktivität im Dienstleistungssektor erheblich gesteigert hat. Diesen Sachverhalt zeitnah zu erfassen, wird kaum möglich sein, aber vieles davon muss vielen Lesern selbstverständlich erscheinen. In dieser Hinsicht wird das bisherige Inflationsthema von einer steigenden Nachfrage und einem hinterherhinkenden Angebot im Kontext von hohen Ersparnissen, Konjunkturanreizen und Wiedereröffnungen/Impfungen geprägt. Das klingt kaum nach einem wiederholt auftretendem Phänomen, also das, auf was sich die Fed konzentrieren wird. Man könnte auch argumentieren, dass die Produktionslücken im Rest der Welt hoch sind und sich nicht so schnell schließen lassen dürften wie in den USA, so dass einige Länder Desinflation exportieren könnten. Allerdings herrscht diesbezüglich noch keine Klarheit.
- Das Thema „Endlich ist die Inflation da“ fußt auf der beispiellosen politischen Unterstützung für Wachstum, kombiniert mit der „Wachstum um jeden Preis“-Tagesordnung der neuen US-Regierung unter Biden. Die fiskalischen Anreize in den USA werden auf rund 30% des BIP über einen Zeitraum von zwei Jahren geschätzt, was beispiellos ist. Hohe Sparquoten und die Tatsache bzw. die Erwartung weiterer Maßnahmen zur Unterstützung der Einkommen könnten den Wiedereinstieg der Arbeitnehmer in das Erwerbsleben verzögern. Dies kann vor allem bei älteren Arbeitnehmern der Fall sein, die vor der Covid-Krise die Lohnkosten deckelten. Negative Nachwirkungen sind ein weiterer Faktor, obwohl wir skeptisch sind, was deren Bedeutung bei Dienstleistungsjobs mit begrenzten Qualifikationsanforderungen betrifft. Die Rohstoffpreise werden ebenfalls als Argument angeführt, aber die Zentralbanker werden deren Entwicklung fast immer als vorübergehendes Phänomen einstufen.
- Was bedeutet das für die Fed? Nicht viel, und der Markt liegt richtig, wenn er in nächster Zeit von keinen Zinserhöhungen ausgeht. Unserer Meinung nach hat die Fed klar und stimmig mitgeteilt, dass sie jede kurzfristige Inflation ignorieren wird und eine durchschnittliche Inflationsrate anstrebt. Dies erfordert, dass sie über einen längeren Zeitraum abwartet, um die Inflationslücke zu schließen. Der Markt hat die Fed jedenfalls bislang nicht unter Druck gesetzt, Maßnahmen zu ergreifen, da die Zinsen innerhalb von zwei und sogar fünf Jahren im Vergleich zu den längerfristigen Zinsen verhalten ausfallen.
- Das eigentliche Problem wird sich dann einstellen, wenn sich die US-Produktionslücke geschlossen hat, die realisierte und anekdotische Inflation steigt und wir beginnen, interne Unstimmigkeiten bei der Fed zu erkennen. Allerdings sollte man nicht zu viel erwarten. Steigende Inflationserwartungen könnten auch hier ein Treiber sein. Aber insgesamt gehen wir nicht davon aus, dass die Fed die Geldpolitik vorzeitig straffen wird. Ihre gesamte Kommunikation deutet auf das Gegenteil hin. Die Koordination zwischen einem von der ehemaligen Chefin (Janet Yellen) geführten US-Finanzministerium und der aktuellen Mannschaft der US-Zentralbank (unter der Leitung von Jay Powell) sollte ebenfalls nicht unterschätzt werden. Ferner erkennen wir nirgendwo Anzeichen von Defizit-Falken – weder in der Politik noch in der Wissenschaft oder an den Märkten. Die beste Frage, die man sich in Bezug auf die Inflation stellen sollte, lautet also vielleicht: Wird die zu erwartende Inflation nachhaltiger Art sein? Diese Frage ist schwieriger zu beantworten, aber sie ist diejenige, auf die sich die Fed konzentrieren wird und die sie unserer Meinung nach in die Richtung „auf längere Zeit niedrigerer Zinsen“ drängt, unabhängig von den jeweiligen Inflationsdaten. Auf absehbare Zeit liegt die Lösung jedenfalls im Wachstum.
Quelle: IMF
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