Anlageausblick 2020: Die nächste große Digital-Plattform
09 Dezember 2019
Videolänge 9:13
NATALIA GURUSHINA: Hallo und herzlich willkommen, ich bin Natalia Gurushina, Volkswirtin bei VanEck. Heute werde Ich mit Jan van Eck, Chief Executive Officer des Unternehmens, über seine Ideen und Marktempfehlungen für die kommenden Monate sprechen. Jan van Eck, die erste Frage ist traditionell die leichteste: Welchen Ausblick geben Sie für die US-Finanzmärkte?
JAN VAN ECK: Hallo, Natalia Gurushina, ich freue mich, hier zu sein. Mit Blick auf 2020 könnte unser Basisszenario den Anlegern etwas missfallen. Sie hören so etwas vielleicht nicht so gerne. Aber die allgemeine Stimmung ist momentan etwas sorglos. Im vergangenen Jahrzehnt war die Lage angesichts eines langsamen bis moderaten Wirtschaftswachstums in den Industrienationen recht übersichtlich, wobei die Zentralbanken mit ihrer Lockerung die Volkswirtschaften unterstützten. Und das bescherte den Anlegern auch 2019 wieder ein fantastisches Jahr. Es mag seltsam anmuten, doch wenn die Unterstützung durch die Zentralbanken derart massiv ist, sollten Anleger investiert sein. Das ist im Grunde genommen unser Basisszenario.
GURUSHINA: Gut. Kommen wir auf China zu sprechen, ein Land in dem es fast täglich interessante Entwicklungen gibt. Ich bin neugierig: Wie sehen Sie den Ausblick für China unter den aktuellen Umständen? Hat sich etwas geändert?
VAN ECK: Eine wichtige Aussage von uns im Vorjahr war, dass man nicht gegen die chinesische Notenbank PBoC (People’s Bank of China) ankämpfen sollte. Das war zu Beginn dieses Jahres unser Thema. Und wir lagen damit richtig. Wir haben gesagt, China bekämpft die Schuldenblase, aber die Behörden sind dabei sehr ausgewogen und aufmerksam vorgegangen. Hierbei könnte es sich um einen mehrjährigen Trend handeln. Allerdings waren wir nicht der Ansicht, dass die Entscheidungsträger die chinesische Wirtschaft abwürgen würden. Und das hat sich als richtig herausgestellt. Wenn die chinesische Wirtschaft trotz der Schwierigkeiten des verarbeitenden Gewerbes weiterhin Fortschritte macht, dann sind das gute Nachrichten für die Weltkonjunktur. Das spricht also für meine Einschätzung.
Nun könnte sich aber etwas ändern. Es mag zwar unwahrscheinlich sein, aber was passiert eigentlich, wenn das Wachstum positiv überrascht? Der Umgang mit einer Schuldenblase macht in der Regel „keinen Spaß“, um Ray Dalio zu zitieren. Falls die Konjunktur in China aber positiv überraschen sollte, sind die Märkte darauf nicht vorbereitet. Auch ein globaler Wachstumsschub steht nicht auf dem Programm. Und das würde die Finanzmärkte in die Höhe treiben, die Rohstoffmärkte würden anziehen und der US-Dollar dürfte sich leicht abschwächen. Das wäre also eine erfreuliche Überraschung.
GURUSHINA: Ja. Und es ist nicht nur eine positive Wachstumsüberraschung an sich, auch die strukturelle Beschaffenheit des Wachstums könnte sich verbessern. Es scheint, als ob China durch eine etwas schwerere Zeit geht und möglicherweise die Geldpolitik nicht allzu stark lockert, um tiefgreifende strukturelle Änderungen herbeizuführen. Und das ist meiner Meinung nach eine gute Entwicklung. China könnte also positiv punkten. Gibt es weitere Überraschungen, mit denen wir rechnen sollten?
VAN ECK: Nun, falls die Zentralbanken ihre Politik ändern sollten, darunter die USA, dann wäre das meiner Meinung nach überraschend. Wenn also die U.S. Federal Reserve (Fed) plötzlich zu einer restriktiveren geldpolitischen Haltung umschwenken würde ... Vergessen Sie alles, was ich gerade gesagt habe, weil die Zentralbank letztlich für den Markt ausschlaggebend ist. Aber ich bezweifele, dass es in einem Wahljahr dazu kommen wird. Dennoch sollte man diese Möglichkeit im Auge behalten. Die zweite mögliche negative Überraschung mit Blick auf die Zentralbanken wäre, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) kein glaubwürdiges Gegengewicht zum langsameren Wachstum schaffen könnte. Darüber haben wir schon im letzten Quartal gesprochen, und deshalb sollten sich Anleger in Gold positionieren oder eine Absicherung in ihren Portfolios für den Fall vornehmen, dass das Vertrauen in die Zentralbank deutlich nachlässt.
GURUSHINA: Ja. Und weil Sie das Wahljahr erwähnt haben, stellt sich doch die Frage ... Okay, in den USA wird gewählt. Die Anleger sind dadurch natürlich etwas nervöser und sorgen sich um eine mögliche Volatilität. Welche konkreten Portfolioempfehlungen haben Sie also für das laufende Jahr?
VAN ECK: Nun, ich sagte bereits zu Beginn, dass es etwas unbequem scheinen mag, aber bleiben Sie investiert. Anleger mögen das nicht. Und sie haben sich auch 2019 nicht an diese Devise gehalten, nicht wahr? Das Jahr war von Risikoscheu geprägt. Mehr Mittel flossen in festverzinsliche Papiere als in Aktien. Ich verstehe natürlich die Befürchtungen rund um die Volatilität, denn in den USA steht ein Wahljahr bevor und die Bewertungen von Aktien sind hoch. Darüber besteht kein Zweifel. Viele Menschen sind daher vorsichtig. Die Bewertungen sind jedoch der am wenigsten zuverlässige und der am meisten missverstandene Indikator für die potenzielle Entwicklung der Finanzmärkte. Auf lange Sicht stimmen sie zwar. Aber kurzfristig sind sie absolut irreführend.
Wie sollten Anleger also mit der Volatilität umgehen? Wir nutzen dafür etwas, was ich „Smart Beta ETFs“ nenne. Wir haben einige unserer ETFs danach konzipiert, etwa unsere Moat Strategy für US-Aktien. Im Rahmen dieses Konzepts nehmen wir Aktien oder Komponenten in diese ETFs auf, die selbst nicht überteuert sind. Es gibt unterdessen Marktnischen, die überbewertet sind, und diese können Sie während der vierteljährlichen Neuausrichtung aus Ihrem Index entfernen. Das war unser Ansatz und er hat in diesem Jahr gut funktioniert. Das ist also unser bevorzugter Ansatz für den Umgang mit Volatilität, würde ich sagen. Beim Portfolioaufbau sollte man nicht allzu zimperlich sein. Vielmehr sollte man sicherstellen, dass die einzelnen Strategien, in die man investiert, Sinn machen.
GURUSHINA: Jan van Eck, es gab 2019 viele interessante Entwicklungen, eine Menge Turbulenzen und eine Welle des Populismus, die ganze Länder und sogar Kontinente erfasst hat. Was ist Ihrer Meinung nach der spannendste oder der am besten investierbare Trend für 2020?
VAN ECK: Ja, also ich konzentriere mich besonders darauf, dass wir in einer Welt leben, in der wir viel Zeit mit Technologien und Social-Media-Plattformen verbringen. Wir konnten beispielsweise beobachten, wie Amazon in den USA während des letzten Jahrzehnts ein unglaubliches Geschäftsmodell aufgebaut hat. In China sind Alibaba und Tencent in einem ebenfalls stark umkämpften Markt aufgestiegen. Sie sind aber sehr dominant und haben um ihre Position herum ganze wirtschaftliche Ökosysteme aufgebaut. Und jetzt kristallisiert sich in Indien eine dritte Plattform heraus, die meiner Ansicht nach sehr interessant ist. Diese Plattform basiert im Prinzip auf erschwinglichen Mobilfunkpreisen, weshalb diese mittlerweile deutlich gesunken sind. Die Zahl der Nutzer ist von rund 100 Millionen innerhalb kürzester Zeit auf mehr als 1 Milliarde gestiegen. Das ist eine sehr interessante Entwicklung. Ich bin der Meinung, dass Anleger in Schwellenländern, Anleger, die sich mit ihren Engagements in Alibaba und Tenecent sehr wohl fühlten, als nächsten investierbaren Trend nun Indien anvisieren sollten. Dies beherrscht derzeit zwar nicht gerade die Schlagzeilen, ist aber meiner Meinung nach aus Wachstumssicht sehr spannend.
GURUSHINA: Ja. Und mit Blick auf die Geldpolitik gab es viele interessante Initiativen, welche Aktienanlagen in diesem Land etwas stärker unterstützt haben dürften. Schauen wir einmal auf das von Ihnen geführte Vermögensverwaltungsgeschäft. Was ist für Sie momentan am wichtigsten?
VAN ECK: Nun ja, es hängt ein wenig mit der Wachstumsperspektive zusammen und lautet im Prinzip: Skaleneffekte über alles. Die US-Wirtschaft war noch nie so konzentriert und das Gleiche gilt für die einzelnen Branchen. Weniger Unternehmen haben größere Marktanteile inne. Und in der Vermögensverwaltung führt diese Größe zu Preiswettbewerb. Wir haben das in den letzten Monaten bei den Depotbanken gesehen, die ihre Preise für Online-Broker-Dealer gesenkt haben. Aber das ist in der Vermögensverwaltung auch ein bedeutender, sich im Hintergrund abspielender Trend.
Welche Schlüsse sind daraus zu ziehen? Jedes Unternehmen muss ein von Skaleneffekten oder Preisen unabhängiges Alleinstellungsmerkmal aufweisen. VanEck möchte nämlich interessante Anlagestrategien entwickeln, die sehr wohlüberlegt und angemessen auf die Anlageklasse abgestimmt sind und den Bedürfnissen der Anleger gerecht werden. Wenn ich auf die Finanzberater blicke, dann müssen diese über den Portfolioaufbau hinausgehen. Letzterer ist zwar wichtig für die Kunden, doch die meisten von ihnen suchen auch nach anderen Möglichkeiten oder wertschaffenden Dienstleistungen – ob nun Steuerberatung, Nachlassberatung, Gesundheitsberatung oder andere Arten von Beratungen. Weil man einzigartig sein und sich von anderen abheben muss. Sie können nicht einfach das gleiche Bündel von Fonds anbieten.
Ich finde, dass dieser Trend weiter anhält. Und damit hängt etwas zusammen, was ich in meinem Alltag beobachte: Es gibt all diese neuen Technologien oder Software, wobei mir die künstliche Intelligenz (KI) keine allzu starken Sorgen bereitet. Wir alle müssen lernen, mit diesen neuen Softwaresystemen umzugehen und sie bei der Arbeit anzuwenden. Ob Sie das auch bei sich zu Hause tun, ist wiederum eine andere Geschichte. Ich glaube, viele von uns tun es. Aber auf der Arbeit ist es in einem gewissen Maße ermüdend. Man muss sich einfach mit den neuen Softwaresystemen vertraut machen. Welche Möglichkeiten bieten sich dadurch? Einerseits wird dadurch das Leben erleichtert, andererseits handelt es sich auch um ein notwendiges Übel für noch mehr Produktivität. Es ist so etwas wie eine jährliche Herausforderung für uns.
GURUSHINA: Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu, vielen Dank für Ihre faszinierenden Einsichten. Und vielen Dank an unser Publikum! Weitere Informationen und Einblicke von VanEck-Experten finden Sie unter vaneck.com. Vielen Dank!
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